Kastellaun (Rheinland-Pfalz)

http://www.kvplusr.de/portal-sim-v1/a_rhein-hunsrueck-kreis-Staedte-450b.gif Kastellaun ist eine Kleinstadt nordwestlich von Simmern im Rhein-Hunsrück-Kreis mit derzeit ca. 5.600 Einwohnern und Sitz der gleichnamigen Verbandsgemeinde - ca. 40 Kilometer südwestlich von Koblenz gelegen (Kartenskizze 'Rhein-Hunsrück-Kreis', aus: kvplusr.de/portal-sim-v1/a_rhein-hunsrueck-kreis).
Ansicht von Kastellaun um 1645 (Abb. A. Berg, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

Bereits im 14.Jahrhundert sollen sich Juden in Kastellaun aufgehalten bzw. hier gelebt haben; in den 1380er Jahren wurden sie vermutlich von hier vertrieben. In der Neuzeit siedelten sich Juden in Kastellaun erst in den 1860er Jahren an; das hing wesentlich mit der gestiegenen wirtschaftlichen Bedeutung des Ortes zusammen.

Eine jüdische Gemeinde organisierte sich in Kastellaun Anfang der 1890er Jahre, als ein landwirtschaftlich genutztes Gebäude in der Eifelstraße erworben und in eine bescheidene Synagoge umgewandelt wurde; der Betsaal befand sich im ersten, die Frauenempore im zweiten Stock. Da die junge Gemeinde noch nicht über die notwendigen Ritualien verfügte, wandte sich der Gemeindevorstand mit einer „herzlichen Bitte“ um Überlassung von „derart überflüssigen Geräthen“:

            https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2087/Kastellaun%20Israelit%2025021892.jpg aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25.Februar 1892

Anfänglich gehörten die wenigen Juden Kastellauns der Synagogengemeinde Simmern an. Der Synagogenbezirk umfasste auch die jüdischen Familien in den umliegenden Dörfern wie Hasselbach und Dommershausen. Die religiös-traditionell ausgerichtete Kultusgemeinde verfügte zu keiner Zeit über einen eigenen Rabbiner; bei wichtigen religiösen Anlässen versah der aus Koblenz bzw. aus Bad Kreuznach sein Amt; ansonsten übernahm der Religionslehrer gottesdienstliche Handlungen und führte Beerdigungen durch. Auch eine eigene Elementarschule besaß die Kastellauner Gemeinde nicht; die jüdischen Kinder besuchten die hiesige christliche Schule.

Ein Beerdigungsgelände wurde gegen Ende der 1870er Jahre weit außerhalb der Ortschaft an der heutigen Hasselbacher Straße in Nutzung genommen.

Juden in Kastellaun:

         --- 1862 ........................... eine jüdische Familie,

    --- 1892 ....................... ca.  12     “       “   n,

    --- 1925 ........................... 107 Juden,*        * andere Angabe: 88 Pers.

    --- 1933 (Juni) ....................  78   “  (ca. 4,5% d. Bevölk.),

    --- 1938 ....................... ca.  25   “  ,

    --- 1942 (Dez.) ....................  keine.

Angaben aus: Christof Pies, Die jüdische Gemeinde Kastellaun, S. 22 f.

 

Gegen Ende der 1920er Jahre hatte sich die jüdische Gemeinde in Kastellaun zur größten im Rhein-Hunsrück-Kreis entwickelt. Einer der letzten Höhepunkte in der Geschichte der jüdischen Gemeinde von Kastellaun war die Einbringung einer neuen Thorarolle im Sommer 1931. Darüber berichtete die Zeitschrift „Der Israelit“ am 3. Sept. 1931 wie folgt:

Castellaun (Hunsrück), 15. Aug. Am 7. August fand in der hiesigen Gemeinde eine erhebende Feier statt. Trotz der Wirtschaftsnot war es dank dem Opfersinn der Gemeinde, insbesondere der hochherzigen Spende eines Gemeindemitglieds sowie durch Zuschüsse privater jüdischer Institutionen gelungen, eine neue Thorarolle zu schreiben. Nachdem die Thorarolle in der Wohnung des bereits erwähnten Spenders unter Beteiligung aller übrigen Gemeindemitglieder zu Ende geschrieben worden war, wurde sie unter feierlichem Baruch Haba ('Gesegnet, der da kommt...')-Gesang und unter Vorantragung von Fähnchen seitens der Kinder und der übrigen Thorarollen durch die Gemeindeältesten in die Synagoge gebracht.

Die zentrale Existenzgrundlage der Kastellauner Juden war der Viehhandel; bis in die 1930er Jahre galten die regelmäßig stattfindenden Viehmärkte in Kastellaun als Treffpunkte der ländlichen Bevölkerung. Aber auch in anderen Branchen waren Kastellauner Juden tätig.

Geschäftsanzeigen aus dem Jahr 1926:


Zu Beginn der NS-Zeit lebten knapp 80 Juden in Kastellaun. Mit der zunehmenden antijüdischen Hetze verschlechterten sich auch die Erwerbsmöglichkeiten, die vor allem jüngere Juden Kastellaun verlassen ließen. Dass aber jüdische Viehhändler noch relativ lange ihre Geschäfte in Kastellaun abwickeln konnten, beweist eine Meldung in der „Hunsrücker Zeitung“ vom 30.1.1939, wonach der Kastellauner Markt erstmals „ohne Judengemauschel” abgehalten wurde.

          Synagoge (Bildmitte mit Rundfenster im Giebel, Aufn. um 1935)

     https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20179/Kastellaun%20Israelit%2003091931.jpg aus: "Der Israelit" vom 3.Sept. 1931

Am 10.November 1938 wurde das Synagogengebäude niedergerissen, tags darauf die Trümmer abgefahren; auch mehrere Häuser jüdischer Einwohner wurden beschädigt. Nach der Zerstörung der Synagoge gab es ein jahrelanges Tauziehen um das betreffende Grundstück, ehe es Ende 1942 die Kommune erwarb; beim Kaufpreis wurden die Abbruchkosten in Rechnung gestellt. Die stark dezimierte Gemeinde hielt ab März 1939 den Gottesdienst in einem Privathause ab. Auch nach dem Novemberpogrom wurde weiterhin propagandistisch gegen die jüdische Bevölkerung Stimmung gemacht; Kundgebungen in der Region trugen dazu bei. Aus der „Hunsrück-Zeitung“ vom 16.Jan. 1939:

Simmern/Kastellaun.   Die gestern durchgeführten Kundgebungen der NSDAP in der Kreisstadt Simmern und Kastellaun, die beide sehr gut besucht waren, standen unter dem Leitgedanken ‘Juden sind überall unerwünscht’. In beiden Kundgebungen fand Gauleiter Dr. Albrecht-Berlin treffende Worte zu diesem Thema, das er bis in alle Einzelheiten in klar verständlicher Form behandelte, um den deutschen Volksgenossen eindeutig vor Augen zu führen, wie die Tätigkeit dieser Parasiten sich zum Schaden des deutschen Volkes ausgewirkt hat in all den Jahren.

Die meisten der noch in Kastellaun verbliebenen Juden wurde Ende April 1942 per Bahn-Sammeltransport nach Bendorf „umgesiedelt“; von hier aus wurden sie Wochen später nach Izbica/bei Lublin deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 20 gebürtige bzw. längere Zeit im Ort ansässig gewesene Juden aus Kastellaun Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/kastellaun_synagoge.htm).

 

Der jüdische Friedhof in Kastellaun an der Hasselbacher Straße - etwa 35 Grabsteine befinden sich auf dem Areal - hat die NS-Zeit fast unbeschadet überstanden. 1986 wurde hier von der Kommune ein Gedenkstein errichtet, der die folgende Inschrift trägt:

ZUR ERINNERUNG

an die Angehörigen jüdischer Familien aus Kastellaun,

die in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft

aus ihrer Heimat vertrieben, deportiert oder ermordet wurden.

Die Synagoge stand in der Eifelstraße. Sie wurde am 10.November 1938 zerstört.

Die Bürger der Stadt Kastellaun

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20179/Kastellaun%20Friedhof%20210.jpgDatei:Gedenktafel, Jüdischer Friedhof Kastellaun.jpg 

Teilansicht des jüdischen Friedhofs und der Gedenkstein (Aufn. Otmar Frühauf, 2008 und R., 2019, aus: wikipedia,org, CC BY-SA 4.0)

1990 wurde auf Initiative von Kastellauner Schüler/innen eine Gedenktafel erstellt, die an die 25 jüdischen Opfer der NS-Herrschaft erinnert.

Im Jahre 2009 wurden 20 sog. „Stolpersteine“ in der Kastellauner Altstadt verlegt - so in die Gehwege in der Zeller- und Marktstraße, im Hasental sowie im Spesenrother Weg. Initiiert wurde die Verlegung der messingfarbenen Gedenkquader von Schüler/innen der IGS Kastellaun.

Die Synagoge in Kastellaun (Rhein-Hunsrück-Kreis) Stolperstein für Siegmund Forst (Aufn. St. Haas)

 

 

Weitere Informationen:

Gustav Schellack, Judenpogrom: Die sogenannte ‘Reichskristallnacht’ im mittleren Hunsrück, in: "Hunsrücker Heimatblätter", No. 28/1988, S. 162 - 166

Christof Pies, Die jüdische Gemeinde Kastellaun, in: Hunsrücker Geschichtsverein (Hrg.), "Hunsrücker Heimatblätter", No. 81, Jg. 30/Dez. 1990, S. 22 - 28

Christof Pies, Gemeinsame Erinnerung - Jüdische Überlebende des Nationalsozialismus begegnen Bürgern und Schülern ihrer Heimatstadt (Ergebnisse der Projektwoche der Gesamtschule Kastellaun zum Thema “Judentum und Nationalsozialismus”, 1989), in: Kastellaun in der Geschichte, Band 1, Hrg. Stadt Kastellaun, Neuauflage 2000

Christof Pies, Jüdisches Leben am Rhein - Hunsrück-Kreis, in: "100 Jahre Hunsrücker Geschichtsverein e.V. 1901 - 2001", No. 116 (Sondernummer), Jg. 41/2001, S. 380 - 395

Christof Pies, Jüdisches Leben im Rhein-Hunsrück-Kreis, in: "Schriftenreihe des Hunsrücker Geschichtsvereins e.V.", No. 40, 2003, S. 52 f. und S. 297 - 307

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 204/205

Kastellaun, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Auflistung der in Kastellaun verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Kastellaun

Förderkreis Synagoge Laufersweiler e.V. (Hrg.), Pfad der Erinnerung – Mahnung Kastellaun, online abrufbar unter: pfad-der-erinnerung-kastellaun.jimdo.com/stolpersteine/stolpersteine-kastellaun

Diethelm Schrader, Jüdischer Friedhof in Kastellaun (Hunsrück): hebräische und deutsche Grabinschriften, Mainz 2017